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Zuhören und selber machen lassen!

| Musik

Carsten Hauptmann im Interview mit KMD Ulrich Meier und Kinder- und Jugendkantor Matthias Sandner

Bandcoaching-Wochenende

Im Sommer 2022 fand in Auerbacher Schlossarena ein Bandfestival statt: Unter der Anleitung von Markus Schlotterbeck, Carmen & Friedemann Wutzler, sowie Carsten Hauptmann konnten drei Bands an ihren Songs arbeiten, ihre Stimmen entwickeln und kamen über ihre Musik ins Gespräch.

Ihr hattet zwei zentrale Ziele für das Bandfestival im Sommer formuliert: Bands vernetzen und Öffentlichkeit schaffen. Ist euch das gelungen?

Sandner: Die Vernetzung war erfolgreich, in jedem Fall für die drei Bands, die mitgemacht haben. Öffentlichkeit zu schaffen ist uns dagegen nicht gelungen, denn in der „profanen Öffentlichkeit“ sind wir nicht wahrnehmbar gewesen. Das zeigt sich daran, dass sich wenige Bands angemeldet haben und dass beim Abschlusskonzert kaum jemand da war.

Woran kann das gelegen haben?

Meier: Ursprünglich hatten wir mit sehr viel mehr Bands gerechnet. Es sollten aus dem weltlichen und aus dem christlich sozialisierten Bereich Leute kommen.

Sandner: Wir mussten das Konzept aber durch Corona laufend anpassen. Viele Schulbands und Musikschulbands waren interessiert, hatten dann aber an jenem Wochenende andere Veranstaltungen zu bespielen.

Meier: Matthias hatte dann noch die Band Healing eingeladen, die aber nicht so bekannt war, dass die Jugendlichen in Scharen zum Konzert geströmt sind.

Habt ihr eure Ziele verworfen?

Meier: Nein. Wir haben nur das Konzept angepasst. Matthias hatte ja viele Schulbands abgeklappert. Er ist persönlich da gewesen und hat eingeladen. Coronabedingt musste das Bandfestival dann verschoben werden. Bis zuletzt war es unsicher, ob die Veranstaltung stattfinden kann. Auch wenn es nicht so war, wie wir es uns erträumt hatten, finde ich, dass es kein schlechtes Ergebnis war. Und wenn wir es jetzt neu denken und in eine Zeit legen, in der nicht so viel drumherum stattfindet, könnte es schon passieren, dass sich das nächste Mal zehn oder zwölf Bands beteiligen. Das wäre das Ziel, was man ins Auge fassen könnte.

Ist das mit euren Ressourcen überhaupt zu stemmen?

Meier: Der ursprüngliche Plan war, mit der Musikschule Reichenbach zusammenzuarbeiten. Zuerst sollten sich die Bands gegenseitig vorspielen und dann sollte es Gelegenheit geben, sich in Workshops der Musikschullehrer an seinem Instrument weiterzubilden – Klavier, Gitarre, Schlagzeug, Tontechnik. Als sich dann abzeichnete, dass es nur wenige Anmeldungen gab, haben wir das Konzept umgestellt und Coaches gesucht, die mit den Bands als Ensemble arbeiten.

Die drei Bands, die sich angemeldet hatten, waren in erster Linie Christen. Kann man auch "weltliche" Bands zu solch einem Coaching einladen?

Meier: Man muss den Jugendlichen zutrauen, dass sie dort Botschaft hören. Es gibt zwar keine Predigt, aber die Lieder der Bands sprechen für sich.

Sandner: Wir sind Christen und müssen aus unserer Nische rauskommen, deshalb will ich unsere Leute präsentieren und bekannt machen. Dafür ist solch ein Bandfestival völlig unkompliziert.

Meier: Ein Stück Mission ist bei mir immer dabei. Ich bin nicht jemand, der meint, man dürfe den Menschen nicht zu nahetreten. Die bekommen dort Botschaft – aber nicht durch eine Predigt, sondern durch die Lieder der christlichen Bands.

Was hätte es für Auswirkungen auf das Veranstaltungs-Design gehabt, wenn sich verstärkt weltliche Bands angemeldet hätten?

Meier: Bei den Jugendlichen hätte das wahrscheinlich gar keine Auswirkungen gehabt. Ich denke, dass man innerhalb der Musik sich so aufeinander einlassen kann, dass man sich unvoreingenommen zuhört. Jeder kann von jedem etwas mitnehmen. Letztlich spielen ja die meisten Jugendbands Coversongs – die einen dann eben von Feiert Jesus-CDs. Die weltlichen Bands hätten gehört, dass auch Christen coole Musik machen mit Texten, in denen Botschaft drinsteckt. Und manch einer lässt sich dann vielleicht einladen zur Jugendwoche, bei der man sich dann ja wieder begegnen kann.

Sandner: Ich hätte keine Andachten oder Predigten eingeplant. Auch die Gebetsgemeinschaft vor dem Auftritt, so wie wir es jetzt mit allen praktiziert haben, würde ich weglassen. Zunächst einmal würde ich den Gedanken stärken, dass sich die Bands untereinander kennenlernen.

Meier: Das hätte auch das Ziel der Öffentlichkeit gestärkt, und zwar in dem Sinne, dass die christlichen Gruppen mehr wahrgenommen werden: christliche Jugendliche sind ganz normale Menschen, die in ihrer Freizeit angesagte Musik hören und die versuchen, diese Musik nachzuspielen. In ihren Liedern ist dann meist von Jesus die Rede, aber das ist genauso normal, wie wenn eine Musikschulband einen Song von Metallica covert.

Mission bzw. als Christ in der Öffentlichkeit präsent sein – ist das mit Bandarbeit besonders gut möglich?

Meier: Das würde ich tatsächlich mit Ja beantworten. Beim Posaunenchor funktioniert es ja auch. Wenn der bei einem Stadtfest spielt, dann weiß jeder, dass neben Volksliedern und jazzigen Stücken auch „Du meine Seele, singe“ erklingt. Da ist zwar kein Text dabei, aber jedem ist bewusst, was das ist.

Bei einer Band ist aber meistens Text dabei…

Meier: Das ist richtig, aber wenn die Lieder nicht völlig vereinnahmend sind, dann gibt es durchaus Menschen, die beim Zuhören sagen: „Da könnte was dran sein!“ Das trifft besonders zu, wenn Jugendliche aus ihrem Leben heraus selber Lieder schreiben. Dann sprechen sie die Jugendsprache und können ihr Erleben mit Gott so formulieren, dass es anderen Jugendlichen ins Herz sprechen kann. Das ist keine Art der Vereinnahmung, sondern die Aussage: „Ich bin Christ. Das ist meine Musik. Ich muss mich nicht verstecken. Ich muss niemanden überzeugen, aber ich darf es bekennen.“

Sandner: Ich finde, Kirchenmusik im Allgemeinen ist besonders geeignet für die Öffentlichkeit. Die Posaunenchöre praktizieren es schon und ich finde, mit den Chören könnten wir in der Öffentlichkeit viel präsenter sein. Da scheuen wir uns vielleicht manchmal. Musik hat etwas unkompliziert Verbindendes.

Band Notenläufer

KMD Ulrich Meier leitet seit einigen Jahren die Band "Notenläufer", die regelmäßig die Jugendgottesdienste musikalisch ausgestaltet. Neben dem Standard-Band-Instrumentarium musizieren auch jugendliche Bläser und Chorsänger.

Eine der Bands, die am Bandfestival teilnahmen, waren die "Notenläufer". Wie war das Feedback der Jugendlichen?

Meier: Denen hat das sehr gefallen. Die wertvollen Anregungen der Coaches haben sie mitgenommen und tragen sie bis heute weiter. Gerade bei den Bläsern werden jetzt einige Punkte verwirklicht, auf die ich eigentlich schon lange hingewiesen hatte.

Ein ehemaliger Kirchenmusikdirektor leitet die JuGo-Band. Ist das normal?

Meier: Das ist geschichtlich gewachsen. Mein Vorgänger hat für die Jugendwochen immer einen Projektchor zusammengestellt, der einzelne Abend musikalisch ausgestaltet hat. Ich habe dieses Projekt 2011 von ihm übernommen, damals noch in der Funktion als KMD. Als dann Sänger dabei waren, die auch in der Band spielten, haben wir überlegt, Band und Chor zu kombinieren. Wir haben mittlerweile einen Pool von Musizierenden – ca. 20 bis 25 junge Leute –, die für Jugendabende angesprochen werden können. Die „Notenläufer“ sind dabei neben vielen anderen Teams wie Tontechnik, Anspiel oder Bistro die feste Arbeitsgruppe in der Jugendarbeit, die sich um die Musik in den Jugendgottesdiensten und Jugendwochen kümmert.

Spielst du selbst mit?

Meier: Ich spiele selbst mit, wenn es gebraucht wird – Klavier oder Trompete. Aber generell versuche ich, die jungen Leute selber an den Start zu bringen.

Das klingt wie ein Orchesterprojekt, aber du verstehst dich eher als Lehrer, Organisator oder Moderator?

Meier: Ich verstehe mich tatsächlich als Leiter, aber es ist nicht so wie bei einem Orchester. Ich bespreche mit einem der Jugendlichen aus der Band die Lieder, die wir spielen wollen, ich suche oder baue die Arrangements, ich probe mit der Gruppe und spiele mit, wenn es nötig ist.

Welches Repertoire pflegt ihr bei den Notenläufern?

Meier: Bei den Liedern zum Mitsingen sind wir auf die Worship-Songs geeicht: Outbreakband, Hillsong – alles was angesagt ist und was aktuell in den Jugendgruppen gesungen wird. Dass die Besucher der Jugendabende mitsingen, ist nicht immer so einfach. Da müssen wir häufig an uns selbst arbeiten und schauen, dass die Arrangements nicht so üppig sind. Da können wir uns bei den Vortragsliedern entfalten mit kniffligen Arrangements und mehrstimmigem Chorgesang. Hier wählen wir häufig Songs aus dem Contemporary Gospel. Da nutzen wir viel Material von Israel Houghton oder aus den Wutzler-Heften.

Singt ihr auf Deutsch oder auf Englisch?

Meier: Auf Wunsch der Jugendarbeit singen wir größtenteils auf Deutsch. Ins Englische wechseln wir eher bei den Vortragsliedern – wobei wir darauf achten, dass dann die Übersetzung zu sehen ist.

Wie bekommt man denn heraus, was in den Jugendgruppen gesungen wird?

Sandner: Man muss nur die Jugendmitarbeiter fragen. Im Vogtland wird hauptsächlich aus den „Feiert Jesus!“-Büchern gesungen. Aber auch die „Sing (m)it!“-Mappen werden verwendet, meist mit eigenen Ergänzungen von Lobpreisliedern.

Meier: Ich genieße sehr, dass nicht ich allein festlegen muss, was gesungen wird, sondern dass die Jugendlichen sagen, welche Lieder sie sich wünschen. Ich achte dann darauf, dass nicht nur das ausgewählt wird, was schön klingt oder Spaß macht, sondern dass auch die Themen der Jugendabende in den Songs vermittelt werden.

Musikalische Vielfalt in Jugendgottesdiensten

In Bezug auf die musikalische Vielfalt ist das Jugendgottesdienst-Format in Auerbach außergewöhnlich: man hört hier nicht nur Gitarren und Schlagzeug, sondern auch Bläser- und Chorklänge. In einem Video auf Instagram konnte man einen jungen Organisten erleben, der in den großen Sound mit einstimmt.

Wie erreicht man im Jugendgottesdienst eine solche musikalische Vielfalt wie hier in Auerbach?

Meier: Einfach machen. (lacht) Da ist Versuch und Irrtum im Spiel und die Tatsache, dass vieles geschichtlich gewachsen ist.

Wie kann man ein solches Wachstum befördern?

Meier: Indem man versucht, viele Menschen in die Gruppen zu integrieren und bei Veranstaltungen zu beteiligen. Dabei meine ich durchaus auch Orgelschüler, die gar nicht in erster Linie auf diese Musik abfahren. Wenn man aber sagt, dass man bei dem einen Stück noch die große Orgel braucht, die im Kehrvers mit ein paar Akkorden einsetzen soll, dann probieren sich die jungen Leute an dieser Stelle aus und merken, dass es großartig klingt und dass sie sich einbringen können. Ich bin aber nicht derjenige, der viele Termine setzt und den Jugendlichen Druck macht. Die jungen Leute sehen es selbst auch als ein Spielfeld von Möglichkeiten und das was dann geht, das machen sie dann auch. Ich sage immer: probiert es, wenn ihr Freude daran habt. Ihr seid immer willkommen! Aber ich setze nicht alle Hebel in Bewegung, nur um noch die eine Geigenstimme zu besetzen.

Das klingt so, als wären die Personen, die musizieren, wichtiger als die Instrumentierung, die ein konkretes Werk erfordert – also personenzentriert, statt werkzentriert?

Meier: Genau. Ich versuche immer, eine gewisse Bindung zu den Gruppen herzustellen. Für den, der sich mit seinem Cello einbringen will, schreibe ich notfalls eine Stimme.

Wäre es als exzellent ausgebildeter KMD nicht respektabel zu sagen: „Das ist mir zu wenig“?

Meier: Das ist aber gar nicht wenig. Das ist ganz viel! Das ist eigentlich ein Geschenk, wenn die Leute sich einbringen wollen, denn dann habe ich wieder jemanden gefunden, der von sich aus nicht in den Gottesdienst oder in den Jugendgottesdienst gekommen wäre. Ich arbeite musikalisch mit Menschen zusammen, damit sie zur Gemeinde finden. Das Ergebnis muss sein, dass ich vielleicht einen dahingebracht habe, der sagt: „Da war ich noch nie, aber das hat mir zu denken gegeben.“ Es ist die Möglichkeit durch Musik Menschen mit Glauben in Verbindung zu bringen. Und dabei meine ich noch nicht einmal mit Kirche, sondern dass sich jemand mit Glaubensinhalten auseinandersetzt. Das ist mein Dienstauftrag. Dafür bin ich als Kirchenmusiker ausgebildet, aufgestellt und von der Landeskirche beauftragt. Ich sehe mich nicht als Konzertorganist oder als Kapellmeister, sondern ich will Gemeindearbeit machen.

Also ist Musik nur das Medium, in dem man arbeitet – der Kirchenmusiker soll in erster Linie Menschenfischer sein? Das klingt eher nach Gemeindepädagogik…

Meier: Kann man das so genau trennen: Gemeindepädagoge, Kantor, Pfarrer? Arbeiten nicht alle an der gleichen Sache und überschneidet sich das nicht auch gelegentlich?

Sandner: Als ausgebildeter Gemeindepädagoge ticke ich so ähnlich. Es ist auch mein Anliegen, Menschen innerhalb und außerhalb der Gemeinde miteinander in Verbindung zu bringen. Egal ob Kurrende-Musical, Gospelprojekt oder bei großen chorsinfonischen Werken – wenn ich über die Presse einlade, kommen immer Menschen aus der Stadtgemeinde oder aus dem Umland, von denen zwar wenige in den musikalischen Gruppen bleiben, die aber ansprechbar bleiben für Musikprojekte in der Gemeinde. Diese Menschen bekommen ein anderes Bild von Glauben und Kirche und manchmal denke ich, dass mit diesen Leuten mehr passiert, als man sehen kann - einfach, weil man sich als Christen anders präsentiert.

Kommt Orgelmusik im Jugendgottesdienst an?

Meier: Das ist eine Frage, die müsste man den Jugendlichen selber stellen. Einen reinen Orgelchoral würde ich im Jugendgottesdienst wahrscheinlich nicht spielen. Wobei wir im Advents-JuGo schon „Wie soll ich dich empfangen“ gesungen haben – nur mit Orgelbegleitung. Das lassen die Jugendlichen dann über sich ergehen und es hat nie jemand die Nase gerümpft und gesagt, ob das jetzt wirklich sein musste. Ansonsten ist es deutlich einfacher die Orgel zu akzeptieren, wenn man sie als Teil des Gesamtinstrumentariums sieht und nicht als Solo-Instrument. Wenn ich sie einsetze, dann aber auch nicht mit einem elektronischen Orgelsound, sondern dann soll wirklich die große Kirchenorgel ihre Pracht im Raum entfalten.

Also braucht man einfach nur Mut und Kreativität, wenn man die Orgel in diesem Kontext einsetzen will?

Sandner: Das reicht aus meiner Sicht nicht aus. Die Jugendlichen brauchen vor allem Vertrauen zu dem, der die Orgel spielt. Es darf nicht rüberkommen, dass man ihnen durch die Hintertür Orgelmusik überstülpen will. Die Beziehung muss stimmen! Deshalb funktioniert das in Auerbach auch so gut. Aber selbst, wenn man jedes Jahr die Orgel einsetzt, werden nur einzelne Jugendliche die Orgel lieben. Für den Großteil der Jugend ist Orgelmusik einfach nicht das Genre der Wahl.

Was braucht es, um Orgelmusik für Jugendliche wieder aufzuschließen?

 (langes Schweigen) Meier: Schwere Frage. Ich mache gute Erfahrungen mit Schulführungen, bei denen ich vor allem die Faszination für das Technische wecken kann. Der Klang, der bei einem Orgelstück zu hören ist, ist für die Kinder und Jugendlichen umso eindrücklicher, je mehr sie darum wissen, welche technische Meisterleistung eine Orgel ist. Ich spüre dann immer großes Erstaunen und Empathie, weniger über den, der das Stück spielen kann, sondern darüber, dass das überhaupt funktioniert mit den winzigen und riesigen Pfeifen und dem ganzen Apparat.

Sandner: Vieles liegt aus meiner Sicht am Repertoire und wie man Choräle begleitet. Jugendliche erleben meistenteils eine klassische Choralbegleitung – Note gegen Note. Sie hören alte Orgelklassiker und verbinden Orgelmusik mit langsamen, altbackenen Liedern – langweilig! Die Orgel wird nie das Instrument der Jugend sein. Man erreicht höchstens Akzeptanz. Aber frische Orgelstücke und ein anderes Choralspiel erfreuen nicht nur die Jugendlichen, sondern auch die mittlere Generation und ältere Semester.

Meier: Ich glaube, es ist schwer den Jugendlichen zu vermitteln, dass die Orgel das Instrument ist, das in den Jugendgottesdiensten vorkommen soll. Ihr Problem ist nämlich, dass die Orgel ansonsten immer gespielt wird – an 53 Sonntagen im normalen Gottesdienst. Die wünschen sich dann eben einmal einen Gottesdienst nur mit Band und ohne Orgel.

Warum hört man so selten einen Jugendchor im Jugendgottesdienst?

Sandner: In Klingenthal war Jugendchor irgendwann out. Man konnte dann eher die 25 bis 30jährigen für moderne Chormusik begeistern.

Aber wenn Jugendliche vor ihresgleichen singen und damit eine Beziehung besteht zu den Teilnehmenden im JuGo, dann müsste doch der Zugang zu Jugendchor-Musik möglich sein? Bei all den vielen Jugendchören im Land – warum hört man so wenig von dieser Musik in den Jugendveranstaltungen?

Meier: Das ist eine ganz schwierige Frage. Bei den vergangenen Jugendwochen und großen regionalen Gottesdiensten gab es darüber schon viele Diskussionen, vor allem mit den Jugendlichen aus freikirchlichen Strukturen, die sich in die Planung eingebracht haben. Da kam immer die Ansage, dass vorn kein Chor stehen soll, sondern nur eine Band. Das Hauptargument war immer, dass wir bei der Jugendwoche doch außenstehende Leute erreichen und Mission betreiben wollen. Und wenn man die Klassenkameraden einlädt und die dann einen Chor sehen, dann schalten sie angeblich gleich ab. Chor wird da gleichgesetzt mit „altbacken“. Da wurden schon viele scharfkantige Diskussionen geführt und ich als Musikbeauftragter habe mich immer dafür eingesetzt, dass der Chor singt.

Ist es aber nicht missionarischer, wenn der Jugendchor einen thematisch passenden Song vorträgt, den alle aus dem Radio kennen, anstatt dass die Band in einer Lobpreiszeit von „Löwe und Lamm“ schwärmt?

Meier: Das ist exakt die Diskussion, von der ich sprach. Wir haben einmal „Wovon sollen wir träumen“ von Frida Gold für die Notenläufer arrangiert. Das war damals en vogue und hat viele abgeholt. Und trotzdem heißt es immer: „Bitte keinen Chor! Im Vorprogramm ja, gern auch mit Bläserchor – aber im Gottesdienst bitte weder Bläser noch Chor, sondern möglichst nur Band.“ Das geht sogar so weit, dass eine Sängerin der Notenläufer bei ihrer Trauung den Chor nicht dabeihaben wollte, weil sie meinte, das würde die Freunde aus freien Gemeinden zu sehr abschrecken. Das macht mich sehr betroffen. 

Sandner: Aber die Notenläufer bestehen doch aus Chor und Band…

Meier: Das ist richtig, aber wir singen auch mal einen Gospel nur mit Klavierbegleitung. Vielleicht ist es auch ein theologisch-geistliches Problem und hängt damit zusammen, dass in manchen freien Gemeinden großer Wert auf Spontaneität gelegt wird: Alles, was mühevoll erarbeitet wurde, ist angeblich nicht geistgezeugt. Ein Prediger sollte sich nicht vorbereiten, da er seine Worte, noch während er spricht, vom heiligen Geist gesagt bekommt. Und wenn ein Chorstück erst geprobt werden muss – wo wirkt dann im Moment des Auftritts noch der Heilige Geist?

Wenn man dieser Argumentation folgen würde, dann stünde eine exzellente musikalische Hochschulausbildung Mission im Wege: „Wir wollen keine große Kunst machen – wir wollen die Menschen für Jesus gewinnen.“

Meier: Das ist tatsächlich einer der Punkte, an denen sich derartige Diskussionen entzünden. Diese Argumente höre ich vor allem dann, wenn wir etwas Neues an den Start bringen wollen, zum Beispiel einen großen Allianzgottesdienst.

Viele Worship-Bands spielen zwar mit Live-Arrangements, bei denen je nach Stimmung im Auditorium die Reihenfolge und Energie von Strophen und Versen spontan geändert wird, aber gerade Nachwuchsbands mit wenig Erfahrung und musikalischer Professionalität haben einstudierte und festgefügte Songs…

Meier: Damit argumentieren wir auch und deshalb stellen wir die Notenläufer auch immer wieder vor.

Sandner: Ich nehme die Unterschiede aber auch wahr, wenn ein Chor nur solo und ohne Band singt. Selbst wenn der Chor Lieder zum Mitsingen im Programm hat, wirkt es immer eher wie ein Vortrag und ein extra Programmpunkt.

Liegt es möglicherweise daran, dass der Dirigent eines Chores als Barriere wahrgenommen wird? Wenn eine Band spielt, steht schließlich keine Dirigentin zwischen den Musizierenden und dem Publikum…

Sandner: Es ist zumindest eine andere kommunikative Form, da man als Chorsängerin und Chorsänger eher auf das Ensemble ausgerichtet ist und nicht in erster Linie mit dem Publikum kommuniziert. Als Teilnehmer ist man wiederum vielleicht eher abgelenkt von der Performance eines Chores.

Orgel- und Chormusik ist schon vom Studium her das Fachgebiet der Kirchenmusikerschaft. „Mehr Kirchenmusik in die Jugendgottesdienste!“ Würdet ihr das unterschreiben?

Sandner: Mehr klassische Kirchenmusik – Chor, Orgel – das würde ich nicht unterschreiben. Wenn, dann eher unser Knowhow, unser Wissen und Können mehr einbringen. Wir können uns selbst mehr bei den Jugendlichen einbringen.

Meier: Da kann ich mich nur anschließen.

Kinder- und Jugendkantor:innen

Seit 2021 sind in allen Kirchenbezirken der EVLKS sog. Arbeitsstellen Kinder-Jugend-Bildung eingerichtet. In ihnen werden alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammengefasst, die auf ephoraler Ebene zielgruppenorientiert arbeiten: Gemeindepädagog:innen, Jugendmitarbeiter:innen und Kinder- und Jugendkantor:innen.

Wo seht ihr die Aufgaben der Kinder- und Jugendkantor:innen?

Sandner: Jeder setzt nach seinen Fähigkeiten andere Schwerpunkte. Meinen Fokus sehe ich bei der Vernetzung von Kirchenmusik, Kinder- und Jugendarbeit. Wir haben vierzehntägige Dienstberatungen in der Arbeitsstelle. In den dort entstehenden Impulsen und Ideen sehe ich den eigentlichen Mehrwert einer gemeinsamen Arbeitsstelle KJB.

Meier: Vernetzung finde ich auch sehr wichtig: Menschen untereinander in Kontakt bringen, so dass man sich gegenseitig kennt. Denn das macht Gemeinde und Gemeinschaft aus - man weiß, dass man nicht allein ist, sondern man trifft sich und tauscht sich aus. Im Bereich KJB finde ich auch wichtig, dass dort etwas in die Hand genommen wird, wo niemand da ist, der mit den Kindern und Jugendlichen arbeiten kann. Man muss sozusagen den weißen Flecken etwas Farbe geben.

Sandner: Ich will zudem Impulse setzen in der Kinder- und Jugendarbeit, die Leute zusammenbringen und Fortbildungen organisieren.

Also führst du Fortbildungen gar nicht selbst durch?

Sandner: Das, was ich selber kann, gebe ich auch weiter. Neulich habe ich auf der Gemeindepädagogentagung in Rudolstadt einen Gitarrenkurs gegeben. Da habe ich denen, die das wollten, Gitarre spielen beigebracht. Bei der Weiterbildung zur Kinderleitercard bin ich regelmäßig dabei und bearbeite das Thema Singen mit Kindern: wie kann man als Vierzehnjähriger – auch wenn man nicht Gitarre spielen kann – mit Kindern singen? Das ist etwas, das durch die KJB entstanden ist. Beim Thema Band bin ich nicht so fit. Da hole ich mir dann Leute ran. Wichtig ist, dass man das Arbeitsgebiet im Blick hat.

Welche Fähigkeiten braucht man, um in diesem Arbeitsfeld wirksam zu sein?

Sandner: Keine Angst vor anderen Menschen und vor neuen Arbeitsgebieten! Außerdem braucht man die Fähigkeit, erst einmal zuhören zu können und sich in andere hineinzudenken. Man muss akzeptieren, dass Jugendliche völlig anders denken und sich darauf einlassen, dass es bei ihnen völlig anders läuft. Weiterhin muss man seine Stärken und Schwächen kennen. Und man muss sich ansprechbar machen, so dass sich andere getrauen, auf einen zuzukommen.

Sich ansprechbar machen – bedeutet das, in den Kommunikationskanälen der Jugendlichen vorzukommen?

Sandner: Also Instagram ist nicht so meins. Ich setze auf Präsenz und fahre lieber hin zu den Jugendlichen und in die Konvente. So kann man mich erleben, wie ich bin. Entweder bringe ich ein Thema mit oder ich stelle mich vor und sage was ich kann und was ich nicht kann.

Meier: Ich glaube, es ist wichtig, dass man sich nicht so wichtig nimmt. Man muss beobachten und hinhören, was gebraucht wird.

Sandner: Man muss erspüren, was gebraucht wird! Man hat ja nur 30% seines Dienstes zur Verfügung. „Ich kann gut Pop-Orgel spielen, deshalb muss das jetzt im Jugendgottesdienst vorkommen!“ – Ich denke, solch eine Haltung wäre fehl am Platz.

Das klingt zunächst einmal nach Softskills und als ob man einen bestimmten Persönlichkeitstyp braucht, um in diesem Arbeitsfeld wirksam zu sein. Fehlt es dafür an Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten?

Meier: Ich würde es umgekehrt betrachten. Wenn man sich auf etwas Neues einlassen kann, dann gibt es genügend Möglichkeiten, sich die technische Seite anzueignen und man sucht sich eine Fortbildung. Im Studium ist die Popularmusik ja seit vielen Jahren integriert. Entscheidend ist, ob man bspw. die Gitarre als adäquates Begleitinstrument im Gottesdienst akzeptiert. Wenn man das will, dann findet man auch einen Weg, um sich das anzueignen. Da gibt es viele Möglichkeiten.

Sandner: Was ich erst lernen musste, war Small Talk und dergleichen. Dafür gibt es aber Kommunikations-Techniken, die man sich aneignen kann! Ein solches Thema könnte ich mir fürs Studium oder als Weiterbildungsangebot vorstellen.

Meier: Zuhören lernen und Gastgeber-Qualitäten – das lernt man nicht im Studium, aber daran kann man arbeiten.

Wie kann eine fruchtbare Zusammenarbeit von Kirchenmusik und Jugendarbeit gelingen?

Sandner: Die Zusammenarbeit kann gelingen, wenn man mit dem Jugendwart und den Jugendmitarbeiterinnen zusammenarbeitet. Auch im Denken muss sich etwas ändern: Kirchenmusik ist nicht nur Chor, Orgel und Bläser. Auch Jugendmusik ist Kirchenmusik. Außerdem muss man es von der Jugendarbeit her denken: Was hören die Jugendlichen für Musik? Welche Lieder singen sie? Wie ticken sie? Wenn man akzeptiert, dass Jugendliche mitunter nicht so verbindlich sind, dann kann man eben kein Projekt anbieten, bei dem man ein Dreivierteljahr jede Woche proben muss.

Meier: Ich stimme zu, dass man nicht auf die Jugendlichen von oben herabschauen darf. Man muss zuhören: Was beschäftigt die Jugendlichen? Was bringen sie mit? Was kennen sie? Und dann kann ich noch meine Vorschläge dazulegen, anstatt von vornherein zu überlegen, welche Punkte ich bei der Jugend durchsetzen will. Bei den Notenläufern beispielsweise leite ich zwar das Ensemble, aber mit so wenig wie möglich Druck von außen. Ich verlange zwar eine gewisse Verbindlichkeit, aber ich gebe so viel wie möglich Freiräume.

Was brauchen Jugendliche, damit sie vorkommen? Was vermissen sie?

Meier: Junge Leute brauchen Platz, sich selber zu verwirklichen und eine eigene Sprache zu finden – nicht eine Sprache, die wir den Jugendlichen in den Mund legen.

Sandner: Jugendliche brauchen Präsenz. Sie vermissen es, wenn man sich als Kirchenmusiker nicht sehen lässt – zum Beispiel in der Jungen Gemeinde. Jugendliche brauchen Kirchenmusiker als Ansprechpartner in der Gemeinde.

Meier: Junge Menschen wollen nicht als Notnagel herhalten, wenn die Säge klemmt: „Da gibt es etwas zu tun – das muss die JG machen! Getränke verkaufen beim Gemeindefest? – Das ist doch eine schöne Aufgabe für die Junge Gemeinde!“ Jugendliche brauchen keine Mitarbeiter und Fachleute, die immer wissen, was gut für sie ist, sondern sie brauchen Menschen, die ihnen Freiraum lassen und fragen: Habt ihr eine Idee, wie ihr euch einbringen könntet? Und dann muss man ihnen auch die Möglichkeit geben, es auf ihre Weise zu tun – authentisch und echt. Man muss sie selber machen lassen!

Matthias Sandner nahm per Zoom am Interview teil
Ulrich Meier, Kirchenmusiker in Auerbach im Vogtland
Ulrich Meier feat. Notenläufer
Bläsersektion der JuGo-Band "Notenläufer"
Matthias Sandner, Kinder- und Jugendkantor im Vogtland